Bericht No. 7 (Tage 11 und 12)


liebe daheimgebliebene,

angekommen am fernbusbahnhof von datong haben wir nach dem üblichen lauf durch die gasse der unseriösen anbieter ein taxi für uns gewinnen können, mit dem wir bis an den rand der fußgängerzone kamen, in der unser hostel anzunehmen war, haben tatsächlich das haus mit dem geschäft für kindertextilien im parterre und dem hostel im zweiten obergeschoss gefunden (das zuhause ausgedruckte farbfoto war eine große hilfe), unsere buchung wurde gefunden, wir erhielten ein ausreichend geräumiges und hinreichend gesäubertes zimmer und konnten uns von der fahrt entspannen sowie auf die für den nächsten Tag geplante besichtigung der in höhlen untergebrachten buddhistischen stätten aus dem fünften und sechsten jahrhundert vorbereiten.

bevor ich aber zum höhlengang komme, solltet ihr etwas über unseren aufenthaltsort datong erfahren. die aufmerksamen leser von bericht no. 6 haben sicher noch in erinnerung, dass ich von einem gebiet des kohleabbaus gesprochen habe. die für datong politisch und administrativ verantwortlichen verfolgen das ziel, vom negativen bild der schmutzigen kohlestadt wegzukommen und den tourismus als wirtschaftliche ressource zu entwickeln. mit dem weltkulturerbe der "Wolkengrathöhlen" (云冈石窟 - yúngāngshíkū) ist ja auch ein touristisches ziel in unmittelbarer nähe der stadt vorhanden. das entwicklungskonzept für datong ist freilich etwas seltsam. im innenstadtbereich werden blockweise häuser abgerissen und eine "altstadt" aus der zeit von etwa 1400 bis 1600 (Ming-periode) neu errichtet. zum teil ist das gar nicht unansehnlich. aber wenn man einbezieht, dass mehrere stadtmauersysteme mit vielen kleinen sowie einer reihe von überaus großen türmen die "altstadt-komplexe" einschließen, und berücksichtigt, dass das leben dieser gentrifizierten innnenstadt durch die bewohner von luxuriösen eigentumswohnungen zustande kommen soll, wird das bizarre an dieser stadtplanung deutlich. folge dieser pläne ist, dass weite teile des zentrums eine baustelle sind und einheimische - einschließlich taxi-fahrern kaum wissen, wie man an eine bestimmte stelle in der stadt kommt. der weg könnte durch großbaustellen, aufgerissene straßen oder einen bauabschnitt der neuen stadtmauer unüberwindbar versperrt sein.

am nächsten morgen ist es uns dennoch gelungen, ohne umweg mit öffentlichen verkehrsmitteln zu den oben bereits erwähnten höhlen zu kommen. die anlage geht zurück auf eine zeit, in der datong hauptstadt des chinesischen kaiserreichs war (5./6. jahrhundert). sie besteht aus einer vielzahl in einen fast senkrecht abfallenden kalksteinberg eingelassene höhlen, in denen reliefartig statuen von buddhas und ihren gefährten mit einer größe von weniger als einem bis zu 18 metern herausgemeißelt sind. stilistisch ist zu beobachten, dass die darstellungen eine frühe anpassung buddhistischer kunstvorstellungen an das chinesische kultur- und herrschaftssystem und bei den langen, nicht dicken köpfen bzw. gesichtern über turkvölker vermittelte einflüsse zeitgenössischer griechischer (sic!!!) kunst zeigen. wir haben einiges über die rezeption des buddhismus in china sowie kunst und herrschaft während uns nur am rande bekannter dynastien der ersten jahrhunderte unserer zeitrechnung gelernt, waren tief beeindruckt und froh, den abstecher in die kohlestadt gemacht zu haben.

zweites ziel sollte die neun-drachen-wand sein, das einzige ziel, das wir während dieser reise vollends verfehlt haben. weder öffentliche verkehrsmittel, vieles fragen, noch ein als vermeintlich letzte rettung eingesetztes taxi haben uns zu diesem ziel bringen können. es muss diese sehenswerte reliefdarstellung aber geben, die über den suchbegriff neun drachenwand datong zugänglichen fotos können keine fälschungen sein. am weitesten vom rechten weg abgebracht hat uns der taxifahrer, der uns sicher nicht betrügen wollte - dazu war der mit taxameter gemessene preis der fahrt zu niedrig. er kannte sich einfach überhaupt nicht aus, konnte meine von googlemaps geklaute karte überhaupt nicht lesen und wie vieler schriftzeichen er mächtig war, kann nicht beurteilt werden, es dürfte aber eine überschaubare menge sein.

auch wenn wir der drachenwand nicht angesichtig worden waren, wir sollten, wollten und mussten zurück ins hostel. es begann eine auf den füßen zu bewältigende, keine wie bei homer 30 jahre währende, aber mehr als 30 hoffnungen und enttäuschungen bringende odyssee durch das zunehmend nächtlicher werdende datong. oh hätten wir wie der listenreiche odysseus unsere ohren mit wachs verschlossen vor den gesängen der hier als polizisten verkleideten sirenen, die verkündeten, nur da lang, und den eindruck erweckten, es sei nicht mehr weit. scylla und charybdis taten sich auf als enge hutong-gassen mit zunächst pulsierendem chinesischem handeln, kaufen und leben, die sich jedoch schnell in düstere slums verwandelten. der dem odysseus mißgünstige poseidon trat auf in der gestalt von polizisten, die vor einer sich noch im bau befindlichen treppe zu einem der stadtmauertürme erklärten, ja, man könne hier hinaufsteigen, auf der anderen seite absteigen und sei dann im zentrum. wir nahmen den weg, der uns zu einem ausführlichen nächtlichen spaziergang auf der unbeleuchteten stadtmauer verhalf. gewarnt von einem einheimischen, der uns einen kleinen teil des weges begleitete, dann aber ohne erklärung umkehrte, vermieden wir ein wenig gesichertes, mindestens 10 meter tiefes loch, das bei der fertigstellung des alleebreiten mauerweges noch nicht geschlossen worden war. der abstieg gelang uns über eine baustellenzufahrt und dank eines nicht im dienste des poseidons stehenden torwächters, der uns grinsend dann doch das tor aufschloss, das er zu bewachen hatte und damit auf der innenstadtseite aus der stadtmauerbaustelle entließ. wir erreichten ithaka - etliche schweißtropfen später, betraten den palast (大同青年旅社 - datong youth hostel) brauchten uns keiner freier zu erwehren, penelope und telemachos waren nicht zugegen, so waren wir einander penelope und odysseus - zufrieden, dass wir auf der irrfahrt keinen schiffbruch erlitten hatten und sich - beim zeus - auch diebe, räuber und plünderer ferngehalten hatten.

am nächsten tage sollten wir von der kunstaltstadt datong nach pingyao reisen. pingyao ist eine stadt, die innerhalb der erhaltenen mittelalterlichen stadtmauern eine fast geschlossene bebauung aus derselben zeit besitzt. doch davon im bericht no. 8. es grüßen

odysseus&penelope (alias peter&karen)

nach oben —  bericht no. 1 —  bericht no. 2 —  bericht no. 3 —  bericht no. 4 —  bericht no. 5 —  bericht no. 6 —  bericht no. 8 —  bericht no. 10 —  zurück zur anfangsseite


© 2018 peter meisig, siegburg —  letztes update —  impressum —  datenschutzerklärung